Schramberger Gespräche: „Lasst uns die Demokratie verteidigen“
Wolfgang Bosbach im Bärensaal
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Das dürfte dem Vielredner Wolfgang Bosbach noch nicht oft passiert sein: Eine Verabschiedung mit Gesang. Aus zweihundert Kehlen schallte dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten aus dem Rheinland ein für ihn kaum verständliches Lied entgegen. Das Publikum hatte sich erhoben und sang von einer „hoorig Katz“ und „Mädle mit Stiefele a“. Bosbach hatte sichtlich Spaß daran.
Schramberg. Der prominente CDU-Politiker war auf Einladung von Renate Claes zum dritten „Schramberger Gespräch“ in den schon für die Fasnet dekorierten Bärensaal gekommen. In ihrer Begrüßung versicherte Claes augenzwinkernd, Bosbach habe ihr „spontan mit mehrmonatiger Verzögerung zugesagt“.
Mit Blick auf die gut gefüllten Stuhlreihen im Bärensaal beantwortete sie die Frage, weshalb man zu Wolfgang Bosbach gehe, so: Er sei authentisch, ehrlich, überzeugend und vertrauenserweckend. „Vertrauen ist die Grundlage für gute Politik.“ Bei Bosbach bekämen die Zuhörer klare Antworten. Zugleich pflege er eine faire Streitkultur.
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Die Entwicklung unserer Demokratie mache ihr Sorgen, bekannte Claes. Die Demokratie brauche die engagierten Bürger. Es gelte, unsere Werte hochzuhalten. Sie wünsche sich, „dass wir bald wieder zu einem respektvollen Miteinander zurückkehren“.
Gefragter Redner
In seiner frei gehaltenen Rede streifte Bosbach zahlreiche Bereiche unserer Gegenwart, immer wieder gewürzt mit Anekdoten und Scherzen. Er bekomme im Jahr etwa 1000 Einladungen, 250 davon nehme er an. „Meine Frau sagt: ‚Früher im Bundestag warst Du weg, heute bist Du nicht da.‘“ Nun also in Schramberg.
Er sei in der Wahlkampfzeit an 49 Tagen 47-mal aufgetreten. In Schramberg werde er bewusst keine Wahlkampfrede halten. „Aber die meisten hier wissen, ich komme von den Guten“, scherzt er über das zum größten Teil aus Parteifreunden bestehende Publikum.
Bosbach ist überzeugt: „Die Menschen schätzen Klarheit, auch wenn sie nicht alle Positionen teilen.“ Es störe sie, wenn sie nach einer langen Politikerrede überlegen müssten: „Isser dafür oder isser dagegen.“
Zur Tatsache, dass der Wahlkampf mitten in die Fasnetszeit – in Bosbachs Worten natürlich Karnevalszeit – fällt, meint er: „Darauf können auch nur zwei Norddeutsche und ein Sauerländer kommen.“
Zu wenige engagieren sich
Mit Blick auf unsere Demokratie machte Bosbach auf die Schwäche der Parteien aufmerksam. Lediglich 1,4 Prozent der Menschen in Deutschland seien Mitglieder einer Partei. Immerhin knapp jeder vierte sei an Politik interessiert. Auch der Altersdurchschnitt der Parteimitglieder der beiden klassischen Volksparteien liege deutlich über dem der Bevölkerung mit 48 Jahren: bei der CDU mit 61, bei der SPD mit 62 Jahren. „Demokratie ist aber darauf angewiesen, dass sich möglichst viele dafür einsetzen.“
Weimar sei nicht nur an zu vielen Nazis zugrunde gegangen, sondern auch, „weil es zu wenige Demokraten gab, die sich den Antidemokraten entgegengestellt haben“. Bosbach forderte: „Lasst uns diese Demokratie mit all ihren Schwächen verteidigen“, und bekam dafür starken Applaus.
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Wahlkampf ist nicht unanständig
Der Meinungsstreit gehöre zur Demokratie, keine Partei habe die Wahrheit für sich gepachtet. Vieles sei eine Sache der Wertung. Wichtig sei der Respekt vor dem, der eine andere Meinung hat. Allerdings: „Es ist gut, wenn man nicht nur Meinung, sondern auch Ahnung hat.“
Wahlkampf sei „nichts unanständiges“, betonte Bosbach, „es kommt darauf an, wie man ihn gestaltet.“ Es sei allerdings erschreckend, dass er von den 47 Veranstaltungen lediglich zwei ohne Polizeischutz habe absolvieren können – „eine davon hier.“
Kein „Ende der Geschichte“
Bosbach ging auf die große Fehleinschätzung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein, als der US-Politologe Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“ geschrieben hatte. Der Autor sei davon ausgegangen, die Demokratie und die Marktwirtschaft hätten den endgültigen Sieg über Diktatur und Planwirtschaft davongetragen. „Da hat er sich geirrt“, bedauerte Bosbach.
Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sei ein Tabu der Nachkriegsordnung in Europa gebrochen worden: „Grenzen werden nicht mit Panzern verschoben.“ Kriegerische Auseinandersetzungen habe es etliche gegeben, die Auflösung Jugoslawiens, im Nahen Osten, weltweit. Aber in Europa habe die Macht des Rechts nicht die des Stärkeren gegolten. Auch die Demokratie sei nicht selbstverständlich.
Europa stärken
Dass nun Gespräche zwischen Russland und den USA ohne die Ukraine oder die Europäer stattfänden, zeige, „wir können uns nicht mehr auf die USA verlassen“, so Bosbach. Andererseits: „Es bringt nichts, an Trump zu verzweifeln.“ Bosbach kritisierte auch die deutsche Außenpolitik. Es mache wenig Sinn, „rumzureisen und den anderen zu sagen, wie sie zu regieren haben“.
Es sei nachvollziehbar, wenn die Mehrheit der US-Amerikaner erkläre, was in der Ukraine passiere, sei „nicht unser Krieg“. Die Europäer müssten gemeinsam ihre Interessen vertreten, Allein sei Deutschland „weltpolitisch marginalisiert“. Die europäische Friedensordnung sei zentral für uns. Deshalb sei es wichtig, sich zur EU zu bekennen, „auch wenn wir uns über Dinge aus der EU ärgern“.
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Ein Schuss frei
Zum Bundestagswahlkampf meinte Bosbach. „Nach dem 23. kommt der 24. Februar.“ Dann habe Deutschland immer noch dieselben Probleme und müssten Lösungen gefunden werden.
Als bei einem der Zuhörer das Handy klingelt, antwortet der Rednerprofi Bosbach: „Gehen sie ruhig ran und erzählen Sie dem Anrufer, er habe etwas verpasst.“
Zu möglichen Koalitionsverhandlungen hat er auch einen lockeren Spruch parat. Da versicherten immer wieder die Beteiligten: „Sachfragen sind wichtiger als Personalfragen. Die wichtigste Sachfrage ist, was wird aus mir.“
Im Ernst erklärte Bosbach, eine neue Bundesregierung habe einen Schuss frei. „Wenn der nicht sitzt, dann mag ich mir nicht vorstellen, wie die Wahl 2029 ausgeht.“
Stabilität ist gefragt
Im Osten der Republik erlebe er eine ganz andere Welt mit schon heute deutlichen Mehrheiten für die Rechtspopulisten von der AfD. Um das zu ändern, brauche es stabile politische, ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse.
Deutschland sei eigentlich gut aufgestellt. Mit gerade mal einem Prozent der Weltbevölkerung sei das Land weiterhin die drittstärkste Wirtschaftsnation. Während Frankreich letztes Jahr vier Regierungschefs gehabt habe, habe die Bundesrepublik in 42 Jahren vier Kanzler gezählt.
Dass die ultrarechten Parteien erstarkten, sei eine europaweite Entwicklung. „Wir holen nach, was in anderen Ländern bereits geschehen ist.“
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Wettbewerb nicht Sozialstaat
Bosbach appellierte an die deutschen Tugenden. Wenn Olaf Scholz beim SPD-Parteitag erkläre, unser Wohlstand basiere auf dem Sozialstaat, dann liege er falsch: „Unser Wohlstand basiert auf der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und dem Fleiß der Arbeitnehmer.“ Anders als von Scholz vorhergesagt, habe es kein „grünes Wachstum“ wie zu Wirtschaftswunderzeiten gegeben. Das werde es auch nicht mehr geben, ist Bosbach überzeugt.
In der Sozialpolitik sah er große Herausforderungen, erinnerte an die miserable Lage der Krankenhäuser. Die Pflege werde immer schwieriger und teurer.
Bei der Rente sei unklar, wie sie künftig bezahlt werden soll. „Was du machst, ist unpopulär.“ Nur am Rentenniveau dürfe man nicht rütteln, so Bosbach. Soziale Gerechtigkeit müsse es auch für die geben, die von morgens bis abends arbeiten. Die müssten besser dastehen als diejenigen, die nie in die Rente eingezahlt haben.
Bosbach forderte mehr Flexibilität beim Renteneintrittsalter. Wer länger arbeiten wolle, sollte dafür Anreize bekommen.
Kindheitserinnerungen
Nach so viel Politik folgte ein nostalgischer Schlenker in die eigene Kindheit. Da hätten sie noch draußen gespielt, ohne sozialpädagogische Anleitung. Zur Schule sei man gegangen, nicht gefahren, weder im Auto der Mama oder im Schulbus. „Wir haben auch keine Namen getanzt.“
Die Regel sei gewesen, wenn es dunkel wird, seid ihr daheim. Er habe schnell gelernt, kommt man eine halbe Stunde zu spät, gibt es Ärger. Bei zwei Stunden ist die Erleichterung bei Mama so groß, dass man wieder gesund zurück ist….
Die KI-Welt enteilt uns
Nostalgisch wurde er auch, was die technologische Entwicklung anging. Das Telefon, das Faxgerät, deutsche Erfindungen. Heute würde nichts davon mehr in Deutschland produziert. SAP sei heute das wertvollste deutsche Unternehmen, nicht Mercedes oder VW.
„In der alten Industrie sind wir immer noch Weltklasse.“ Aber bei den neuen Technologien seien uns andere weit enteilt. „Apple ist so viel wert wie alle DAX-Konzerne zusammen.“ Bei KI spiele Deutschland kaum eine Rolle.
Das sei schlecht, denn: „Wer nichts im Boden hat, muss was in der Birne haben.“ Deutschland müsse viel mehr in die Bildung investieren. Kinder solle man auch nicht unterfordern. In der Forschung sei Deutschland weiterhin Spitze. „Das Umsetzen in Produkte fällt uns schwer.“
Nach gut einer Stunde beendet Bosbach seine Rede mit dem Bekenntnis, es sei „immer noch ein Glück, hier geboren zu sein. Es geht uns immer noch besser als den meisten anderen Menschen auf der Welt.“
Ein fröhlicher Schluss: Fasnet zum Mitnehmen
Mit einigen passenden Geschenken zur Schramberger Fasnet bedankt sich Renate Claes bei Bosbach. Stefan Link, der den Abend mit organisiert hatte, lobt Claes. „Wie kriegt sie das hin?“ Er bewundere besonders ihre Hartnäckigkeit. Bosbach bestätigt grinsend: „Jaaa….“
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Link hat noch einen gelb-schwarzen Fasnetsschal für den Gast dabei. Von Bosbach gefragt, was das denn mit der „hoorig Katz“ bedeute, meint „Elfer“ Link, das könne er vor einem so großen Publikum jetzt nicht ausführen….
Schließlich ertönt der Narrenmarsch, das Saalpublikum erhebt sich und singt lauthals mit. Bosbach staunt und schmunzelt. Keine Sauerländer.
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